Wunderschöne Orangenhaut

Ach, diese Oberflächlichkeit, diese entsetzliche Oberflächlichkeit! Möchte denn niemand dem öffentlichen Wettstreit um die makelloseste weibliche Hülle endlich ein Ende bereiten? Aber nein. Immer neue, immer jüngere, selbstbewusste Juroren küren in schnellen Intervallen den Frauenköper der Saison. Merkwürdiger Weise fällt im Zusammenhang mit diesem medialen Striptease häufig der Begriff Schönheitswahn.

Wahn, also pathologisch? Okay. Aber was hat das alles mit Schönheit zu tun? Hier verharrt doch die philosophische Disziplin der Ästhetik in der Arbeitslosigkeit.
Ab und zu vernimmt man einen Aufschrei. Meist von Frauen, die sich Sorgen machen um sich und das Seelenheil ihrer Töchter. Einige von ihnen erwarten am Donnerstagabend zusammen mit dem Nachwuchs dann dennoch gespannt, welches Mädchen von Heidi einen Briefumschlag erhält. Runtergezogenes Augenlied – Hallo?! So viel Ironie muss doch zwischen Mutter und Tochter möglich sein – Immer noch nicht verstanden? DSDS ist doch nur camp.

Dann ist plötzlich wieder zappenduster und Frau geht auf die Barrikaden. Doch was hilft alles Kämpfen um die Frauenrechte und um Gleichberechtigung, wenn die westliche Damenwelt in einer Art Östrogensturm immer nur wieder um die selben faltig gewordenen Gender-Klischees wirbelt?
Die ständigen die Spekulationen um die Babybäuchlein von Popstars schlagen einem auf den Magen? Ganz einfach! Wie wäre es damit, die Abonnements der Frauenzeitschriften zu kündigen? Das Über- und Untergewicht und die Selbstverletzungen der in die Jahre gekommenen It-Girls wirken nach zwanzig Jahren irgendwie redundant? Noch viel simpler! In den sozialen Netzwerken können präpubertäre Beiträge mit einem Klick blockiert, und gegen Benachrichtingungs-Jingles zu interessanten Hörerlebnissen auf Deutschland Radio Kultur getauscht werden. Man regt sich darüber auf, dass Frauen ab Mitte Dreißig von Männern gemeinhin als zunehmend unattraktiver empfunden werden? Mit dieser speziellen, aber unleugbaren Wahrheit zur Endlichkeit aller weltlichen Dinge müsste sich doch aber mit fortschreitendem Alter ganz entspannt leben lassen. Umgekehrt sieht die Sache ja auch kein bisschen anders aus.

Im Kino läuft gerade ein Dokumentarfilm, der die natürliche Schönheit der Frau zum abendfüllenden Thema gemacht hat. Eine australische Regisseurin (39) hat ihn gedreht, und eine deutsche Schauspielerin (35 – die Altersangaben entnehme ich dem Artikel) hat das Projekt durch einen stolzen Zuschuss in den Crowdfund unterstützt. In der Zeitung lese ich, dass die beiden attraktiven Frauen bei ihrem Treffen in Berlin sogar Kuchen essen, ohne ein Wort über Kalorien zu verlieren (sic!). Etwas das bei einem, sagen wir mal, Kaffeekränzchen bei Volker Schlöndorff mit Stellan Skarsgard keinen Nebensatz wert wäre.

Erstes Aufsehen in der Netzgemeinde hatte die Regisseurin mit einer speziellen Art von Vorher-Nachher-Bild erregt. Und zwar nicht dem gemeinhin bekannten Typveränderungsfoto „Auferstanden aus Ruinen“ erst Pfui und dann Hui – sondern genau umgekehrt: links ihr gestählter Body in einem weißem Bikini, rechts ein paar Jahre und drei Kinder später, ihr nackter, weißer, weiche Körper mit sympathischem Schürzenbauch. Beide Fotos sind auf unterschiedliche Weise interessant, keines von beidem ist in klassischem Sinne schön. Auf beiden Fotos lächelt die Frau und es ist nicht zu erklären, warum behauptet wird, sie sähe auf dem Bauchfoto glücklicher aus, als auf dem, wo sie ihren Bauch offensichtlich einzieht.

Aber – die Frau hat anscheinend gute Laune. Und das nicht etwa, weil sie eine ramponierte Figur hat, sondern weil sie sich in ihrem Leben anscheinend komfortabel eingerichtet hat und mit sich zufrieden ist. Das sieht man gern. Das ist vernünftig und beruhigend, hat aber immer noch nichts mit Schönheit zu tun. Hätte sie erfolgreich an einer guten Rückbildungsgymnastik teilgenommen, könnte sie genauso fröhlich aus der nicht vorhandenen Wäsche blicken, es gäbe dann aber nix zu gucken, auch keinen Film.

Kann man mit Fotorealismus gegen eine Oberflächlichkeitsfixierung ankämpfen? Und ist dieser Wahn, wie ständig behauptet, wirklich kollektiv oder nicht vielmehr eine sehr individuelle Paranoia.

Während ich noch überlege, ob ich den Film sehen möchte, weil mich „wunderschöne Orangenhaut“ das gebe ich zu, doch Neugierig gemacht hat, fällt mir ein Foto ein, das vor über zwanzig Jahren der Berliner Fotokünstler André Rival von sich und seiner hochschwangeren Frau Ulrike Schamoni machte. Es zeigt die nackte werdende Mutter und den entblößten zukünftigen Vater im Profil, Bauch an Bauch – Schwangerschaftsmurmel versus Männerplautze. Der Fotograf wirkt auf dem Foto sehr glücklich. Es gab viele Aufmerksamkeit für dieses originelle Bild, es hat beinahe Ikonencharakter. Nur einen Kommentar hab ich bis heute nie dazu gelesen: „Wunderschöner Bierbauch“.

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