Die Einsamkeit des Langstreckenexibitionisten

Kinderblues und Ehefrauen-Burnout. Die armen Familienväter vom Prenzlauer Berg.

Der Schriftsteller Karl Ove Knausgård ist ein kerniger Typ, mit einem fabelhaftem Haarwuchs. Warum dieser Mann aus den nordischen Bergen einen Schlag bei der Damenwelt hat, das fragt man sich nicht lange.

Die Rhinozeros-Epidermis tut seiner Attraktivität keinen Abbruch, genauso wenig wie der dramatische Faltenwurf in seinem Gesicht, der an die greisen Wirtshaus-Insassen der Altniederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts erinnert.

Da kann sich Maria Furtwängler, medienpräsent, über die ungerechte  Wahrnehmung der Frauen eines gewissen Alters in den Medien aufregen wie sie will, hätte eine weibliche Person des öffentlichen Interesses mit achtundvierzig Jahren ein solches Gebirgsmassiv zwischen Scheitel und Dekolleté, Häme und Missgunst wären ihr gewiss – von Frauen wie auch von Männern.

Doch der norwegische Bestsellerautor ist einfach unwiderstehlich. Die Mischung aus Empfindsamkeit (Augenaufschlag), Stärke (Statur und Zigarette) und Durchhaltevermögen (Der Romanzyklus „Min Kamp“ umfasst beinahe 5000 Seiten) fasziniert nicht nur die weibliche, sondern auch die männliche Leserschaft – von der hartnäckig behauptet wird, sie sei eine aussterbende Gattung.

Gibt es eine neue Sehnsucht nach Schmerz und Einsamkeit bei den Herren? Ich vermute, Literatur als Handkamera auf den behaarten Bauchnabel funktioniert unisex. Und dennoch, auffällig ist, wie gern der männliche Leser, der sonst lieber zu Sachbüchern wie „1000 legale Steuertricks“ greift, in den Kotzgeschichten von Benjamin von Stuckrad-Barre und der Schizoschilderung eines Thomas Melle schwelgt. Aber was haben diese beiden Schriftsteller mit Knausgård gemein, werde ich gefragt.

Habe nur ich Knausgårds Kampf als Roman eines chronisch Verzweifelten, als monumentale Krankengeschichte gelesen? Als Bekenntnisse eines Beziehungskrüppels – oh, das darf man bestimmt nicht mehr sagen, also, eines stark Beziehungsgehandicapten? Doch seine Realfiktion zieht frustrierte Familienväter mit Kinderblues und Ehefrauen-Burnout magisch in Bann.

“Ich will hier raus“ denken sie sich auf Seite 4055, die unverstandenen Papis. „Ich will frei sein, und nie wieder meine Lebenszeit mit dem sachgemäßen Öffnen von Reiswaffelrollen verplempern.“

Vor einiger Zeit berichtete mir ein Arbeitskollege mit LED-Äuglein von seinem Knausgårdschen Leseerlebnis, er könne den letzten Teil kaum erwarten. Besonders begeistert zeigte er sich von den Passagen, in denen der Autor seine Einsamkeit als Vater unter Müttern, bei Kindergeburtstagen und Krabbelgruppen schilderte. Auch er, verriet mir der Kollege ungefragt, habe sich das Leben als Familienvater wesentlich souveräner vorgestellt, die Isolation in der Elternzeit, hätte sich bei ihm zu einer psychogenen Depression gesteigert.

Noch am selben Tag fragte ich einen anderen Kollegen und Literaturkenner nach seiner Meinung zu dem norwegischen Langstreckenexibitionisten. „Männer, die Knåusgard lesen, stehen kurz vor der Scheidung“ antwortete er prompt.

Ein halbes Jahr später hatte sich der Knausgård-Fan von seiner Familie getrennt. Er wohnte nun in einer eigenen Wohnung, unweit der Familienwohnung am Prenzlauer Berg. Der Nachwuchs, ein fünfjähriger Junge, wird von den Erzeugern nach dem Nestmodell in der Fünfzimmer-Wohnung betreut. Eine Woche umsorgte ihn dort der Vater, in der nächsten übernimmt wieder seine Mutter die Regie. Monate habe er nach einer passenden Wohnung für sich gesucht, jammerte mein Arbeitskollege und atmete zentnerschwer aus, das sei natürlich eine Belastung gewesen, die Lage auf dem Immobilienmarkt der Hauptstadt sei wirklich zum Verzweifeln.

Ein kleines Problem würde nun nur noch die Wohnungssuche seiner Frau darstellen. Dummerweise vertrugen sich die Eheleute so hundsmiserabel, dass man es vorzog sich nicht gegenseitig über den Wohnungskorridor zu laufen. Zur Zeit wohne sie im Hotel, bis auch sie eine Zweizimmerwohnung in Kollwitzplatz-Nähe gefunden habe. Sein Geschiedenen-Zug um den Mund vertiefte sich noch, als er mir vorrechnete, dass nun 70% des Nettoeinkommens der getrennten Eheleute allein für die Mietzahlungen draufgingen.

Drei Wohnungen für drei Personen? Über 430 qm Wohnraum im Zentrum von Berlin, belegt von einer Kleinfamilie? Ach Karl Ove, was hast Du dem Berliner Wohnungsmarkt angetan? Wärst du doch nur Schollen-Fischer im Kattegat geworden.

Psalm 84 (Der Makler-Psalm) : „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth, denn der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest.“

 

elisabeth von molo

vor 3 Monaten antworten

Liebste, Das ist jetzt auch genau Claudias Problem. Das hast du wieder herrlich beschrieben. Ganz wunderbar.

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